Sonntag, 4. Mai 2014

[REZENSION] Dornenherz




Titel: Dornenherz – Jedem Ende wohnt ein Anfang inne
Originaltitel: -   
Autor: Jutta Wilke
Reihe: nein       
Seiten: 224
Preis: 14,95€
Verlag: Coppenrath
Kaufen: Dornenherz
Bewertung: ♥♥♥♥♥•••••


Seit dem Unfalltod ihrer Schwester vor einem Jahr ist Anna wie gelähmt und droht, sich ganz und gar darin zu verlieren, den Eltern die verstorbene Tochter ersetzen zu wollen. Bei einem Streifzug über den Friedhof wird sie von einer geheimnisvollen schwarzen Katze angelockt, die sie zu einer längst vergessenen Lichtung führt. Die Wege sind mit Moos bewachsen. Efeu rankt über die verwitterten alten Grabsteine. Und inmitten all dessen erblickt Anna mit einem Mal eine Engelsstatue umgeben von einem Meer aus weißen Rosen. Wie magisch angezogen, tritt sie näher an den Engel heran und berührt eine der weißen Blüten zu seinen Füßen. Nicht ahnend, dass sie damit eine schicksalhafte Wendung in Gang setzt …

 

Das Cover ist wirklich unglaublich schön! Der Schutzumschlag besteht aus Transparentpapier, und man erkennt eine stark farbige Engelsstatue und eine leicht verblasste. Wenn man den Umschlag allerdings aufblättert, tritt die verblasste Statue stark zum Vorschein. Dahinter sind wunderschöne Rosenranken, die sich über das ganze Buch schlängeln. Das Sinnbild mit den beiden Engelsstatuen finde ich superschön und im Nachhinein auch sehr passend zum Buch!
Hier mal zwei Fotos von diesem wunderschönen Exemplar.



Heute vor einem Jahr habe ich gelernt, dass man sterben kann ohne tot zu sein.


Irgendwie hat mich diese Inhaltsangabe ziemlich in die Irre geführt.
Habe ich eine tolle Geschichte erwartet, die vielleicht irgendwas mit Engeln oder so zu tun hat? Ja.
Habe ich eine Geschichte über ein Mädchen erwartet, dass versucht sich selbst zu finden? Ja.
Habe ich eine Geschichte mit einer Art traurigem Liebesdreieck erwartet, die unglaublich kitschig ist und so rein gar nichts mit Fantasy zu tun hat? Nein.
Soviel erst einmal zu meinem groben Eindruck.

Die Geschichte beginnt am Todestag von Ruth, Annas Schwester. Die Familie ist gerade auf dem Weg zur Trauerfeier, als Anna aus einem Akt der Verzweiflung heraus beschließt sich die Haare abzuschneiden. Sie glaubt stark, sie könnte diesen Tag überstehen, sie könnte es schaffen. Aber da irrt sie sich. Denn noch immer steckt Anna tief in ihrer Trauerphase, fühlt sich verloren und gibt sich sogar selbst die Schuld am Tod ihrer Schwester.
So flieht sie sozusagen vor diesem Todestag und entdeckt mithilfe einer schwarzen Katze eine wunderschöne Engelsstatue, umgeben von wunderschönen weißen Rosen, mitten auf einer Lichtung eines Friedhofs.
Wer in diesem Buch einen dramatischen Spannungsbogen sucht, der sucht vergebens. Die Geschichte handelt vorrangig von dieser Trauer in Anna und erzählt sehr viel über ihr Gefühlsleben und ihre Gedanken. Sie befindet sich in einem tranceartigen Zustand und kann den Verlust einfach nicht verkraften.

„Mir war kalt, wieder mal und ich wusste, die Kälte würde sich auch nicht von ein paar Wolldecken vertreiben lassen. Inzwischen schlafe ich meistens unter drei Decken. Gegen das Zittern, das mich immer wieder packt, helfen die Decken nicht. Sie sind viel zu dünn. Und noch dünner ist meine Haut.“ (S.46)

Dementsprechend ist der gesamte Roman geprägt von Melancholie und zieht den Leser selbst mit in diese erdrückende Stimmung. Man fühlt sich selbst irgendwie in Annas Lage versetzt, selbst wenn man einen solchen Verlust noch nie miterlebt hat.
Jutta Wilke erzählt mit sehr viel Gefühl und sehr wortgewandt wie Anna versucht nach dem Tod ihrer Schwester wieder in ihr eigenes Leben zu finden. Seit einem Jahr hat sie sich scheinbar aufgegeben, versucht bewusst und unbewusst immer mehr wie ihre Schwester zu sein. Sie ist mit deren Freund zusammen und hat sich die Haare geschnitten, genau wie ihre Schwester. Zudem hat sie auch das Gefühl, dass ihre Eltern und ganz besonders ihr Vater von ihr erwarten, dass sie Ruths Platz einnimmt. Sie lässt alles einfach über sich ergehen und ist selbst vollkommen verzweifelt, weil ihr das nur halb so gut gelingt, wie sie es gerne hätte.

Was mir gleich zu Beginn des Buches sehr gut gefallen hat war, dass jedes Kapitel mit einem Gedicht über Rosen beginnt. Diese sind mal mehr oder weniger gut verständlich, aber dadurch kommt der poetische Inhalt von Dornenherz stark zur Geltung. Diesen findet man auch immer wieder in der Geschichte selbst wieder. Es wird mit vielen Bildern gearbeitet, die ein sehr schönes melancholisches Gefühl bei mir als Leser hinterlassen haben.

„Hast du gewusst, dass kein Mensch, nicht einmal ein Schriftsteller oder Maler, etwas ganz Neues erfinden kann? Etwas, dass es noch nie gegeben hat?“ (S.114)

Sehr schnell habe ich mich damit abgefunden, dass es sich offensichtlich nicht um einen Fantasy-Roman handelt, denn die Liebesgeschichte selbst war insgesamt sehr schön erzählt. Auf dem Friedhof begegnet Anna Phil, dem Friedhofsgärtner. Ihre erste Begegnung ist chaotisch und ein wenig wirr, doch sehr schnell bahnt sich zwischen den beiden eine zarte Liebe an, die so poetisch anmutet wie das Cover und die Gedichte. Jutta Wilke hat sich viel Zeit genommen die Beziehung der beiden wachsen zu lassen, wie die weißen Rosen auf die sie immer wieder zurückkommt. An Phil selbst scheint ein kleiner Poet verloren gegangen zu sein. Er erzählt Anna von alten Legenden, von Blumen und von Gedichten und es ist vollkommen klar, wie sehr sie ihm verfallen ist.
Wäre da jedoch nicht Leon, ihr angeblicher Freund, zu dem sie schon seit Ewigkeiten keine richtige Beziehung mehr hatte oder jemals hatte. Hierbei entsteht ein Konflikt den ich so zwar nachvollziehen kann, aber Annas Reaktionen finde ich teilweise schon ziemlich heftig. So hatte ich teilweise das Gefühl, als wäre sie mit ihrer Moralvorstellung wirklich im 18. Jahrhundert, denn immer wieder verbietet sie sich auf fast schon brutale Art und Weise an Phil zu denken.

Zwischen den einzelnen Kapiteln gibt es immer wieder Rückblicke, die tatsächlich im Jahre 1882 spielen. Zwar wird hier deutlich, dass die agierenden Personen offenbar dieselben sind, wie sie gerade in Annas Leben eine Rolle spielen, doch so richtig einen Reim auf das ganze konnte ich mir nicht machen. Zwar wird am Ende noch ein kleiner Bezug dazu hergestellt, aber wirkt dieser so unnötig, dass man es hätte auch sein lassen können. Diese Kapitel wirken irgendwie etwas fehl am Platz und haben mich immer wieder aus der Bahn geworfen.
Der geschichtliche Hintergrund war zwar sehr interessant, aber das Buch selbst hätte auch ganz gut ohne diese Einschübe leben können.
Leider kommen dafür in diesem Roman einige andere Dinge viel zu kurz. So erfährt man erstaunlich wenig über Ruth, oder über Annas weiteres Umfeld. Hauptsächlich spielt die Geschichte auf dem Friedhof oder bei Anna zu Hause. Alles dazwischen verschwimmt wie im Nebel.

Achtung, ab jetzt wird gespoilert! Zum Weiterlesen bitte den Text markieren. :)
An sich war die gesamte Geschichte eigentlich ganz schön mit anzulesen. Auch wenn ich öfters das Gefühl hatte, dass Anna Leon nicht als Freund, sondern als irgendetwas Ekliges ansieht, dass sie gerne abschütteln möchte.
Jedoch nervt mich dieses Ende so unglaublich! Phil beschließt nach England zu gehen und hinterlässt ihr auf der Engelsstatue nichts weiter als ein Buch mit Rosengedichten, in dem Anna einen Zettel mit merkwürdigen Zahlen findet. Sie ist zutiefst betrübt und kann es nicht glauben, dass Phil sie einfach so verlassen hat. Sie heult und ist tieftraurig, findet jedoch an eben diesem Tag endlich wieder mit ihrer Familie zusammen. Endlich wird ihr klar, dass sie nicht allein Schuld an Ruths Unfall ist, endlich spricht sie mit ihrer Familie darüber, endlich beschließt sie sich von Leon zu trennen und findet schließlich sich selbst.
Bis hier hin war es echt schön gemacht. Jedoch fällt Anna wie aus dem Nichts auf, dass die merkwürdigen Zahlen auf dem Zettel aus Phils Buch Flugdaten sind. Sie hält die Uhrzeit und das Datum seines Fluges nach England in der Hand und stürzt Hals über Kopf zum Flughafen. Natürlich schafft sie es noch rechtzeitig, findet Phil am Terminal kurz bevor er das Flugzeug betritt.
Sie küssen sich, umarmen sich und alles ist vergessen. Und Anna hat sich selbst in diesem Jungen gefunden.

Und genau das ist der Punkt, der mich so sehr an der Geschichte stört! Anna ist ein tapferes Mädchen, ja, sie verliert ihr Herz an Phil, aber es hätte viel mehr zu ihr und ihrem Charakter gepasst, wenn dieses Ende nicht gewesen wäre. Während der Geschichte entwickelt sie sich unglaublich stark. Nach über einem Jahr hat sie wieder sich selbst gefunden, zeichnet wieder und steht wieder mit beiden Beinen auf dem Boden. Für mich wäre es ein viel schöneres Ende gewesen, wenn hierbei die Liebesgeschichte offen geblieben wäre, denn das hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass Anna Phil braucht um sie selbst sein zu können. Was verdammt schade ist, denn somit rennt sie von einer verkorksten Beziehung zur nächsten, die zwar wunderbar und sein wird, aber irgendwie fehlt es mir hier ein bisschen an charakterlicher Substanz. Was auf gar keinen Fall bedeutet, dass ich es Anna nicht gönne, dass sie Phil gefunden hat, aber das ihre Geschichte ausgerechnet so endet, ist so ein typisch kitschiger Hollywoodschnulz, den ich eigentlich von deutschen Autoren nur selten erwarte. Wirklich, die letzten sieben Seiten haben mich so dermaßen enttäuscht, dass kann das Buch auch trotz der ganzen Schönheit und allem nicht wieder ausgleichen.


Dornenherz ist ein sehr melancholisches Buch, dass mit viel Gefühl davon erzählt, wie Anna nach dem Tod ihrer Schwester wieder versucht ins Leben zurück zu kehren. Die Bilder, die in diesem Buch erzeugt werden sind sehr poetisch und Annas Gefühlswelt wird auf sehr zarte Weise perfekt dargestellt. Die Zwischenkapitel waren irgendwie irritierend und ich persönlich fand leider auch das Ende ganz furchtbar.
Deshalb gebe ich dem Buch insgesamt nur fünf von zehn Cupcakes.



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