Montag, 4. Februar 2013

[REZENSION] Der Mann, der den Regen träumt




Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Originaltitel:The Man who rained
Autor: Ali Shaw
Genre: Fantasy
Kaufen: Der Mann, der den Regen träumt



Wie Kreide, vom Regen zu einem weißen Schleier verwaschen, begannen seine Umrisse zu verschwimmen und seine Konturen schwanden, beinahe unmerklich. Im einen Moment sah Elsa einen Mann vor sich und im nächsten nur noch eine graue Silhouette. Seine Haut wurde zu Nebel. Die Sonne hinter ihm ließ ihn erstrahlen und umrahmte ihn mit ihrem goldenen Schein, bis er nichts mehr von einem Mann an sich hatte, sondern immer mehr einer Wolke glich, die durch Zufall die Form eines Menschen angenommen hatte." Finn ist kein gewöhnlicher Mann, ihn umgibt ein Geheimnis. Es ist der Grund für sein Einsiedlerleben und der Grund, warum die Einwohner von Thunderstown ihm nicht wohlgesinnt sind. Doch trotz aller Gerüchte und Anfeindungen hält Elsa zu Finn. Gemeinsam versuchen sie, ihre Liebe gegen all die Widerstände zu behaupten.


„Der Mann, der den Regen träumt“ spielt in einer kleinen Stadt mitten in den Bergen namens Thunderstown. Umgeben von den hohen Gipfeln eines Gebirges hat auch die Stadt ihr komplett eigenes Leben mit Mythen und Legenden, an die jeder Bewohner fest glaubt, entwickelt, und ist somit nicht nur von ihrer Lage her, sondern auch von dem Gedankengut, dass in den dort lebenden Bewohnern herrscht, von der „normalen“ Welt abgeschnitten. Es wird zwar nicht klar, in welcher Zeit die Geschichte spielt, aber man bekommt das Gefühl, dass „Der Mann der den Regen träumt“ in unserer heutigen Zeit spielt, und dass die moderne Welt in diesem kleinen Städtchen wohl niemals Einzug finden wird. Sämtliche Charaktere sind in ihrer Welt, in Thunderstown, gefangen, bis auf Elsa Beletti, die Protagonistin des Buches.
Elsa zieht es nach dem Tod ihres Vaters in dieses kleine Nest. Sie beschließt ihr Leben in New York vollständig hinter sich zu lassen und erhofft sich mitten in den Bergen einen Neuanfang und Zeit um ihre Gedanken und ihr Leben neu zu sortieren. Direkt zu Beginn der Geschichte wird sie mit Daniel Fossiter, einem weiteren wichtigen Charakter des Buches, und Kenneth Oliver, der ihr ein Zimmer in seinem Haus anbietet, bekannt gemacht. Von Anfang an ist Elsa fasziniert von der Einfachheit dieser Stadt, und fühlt sich dort sehr schnell geborgen. Das ist genau das neue Leben, dass sie sich erhofft hatte. Weit weg von dem Lärm und dem Druck der modernen Gesellschaft, die man so nur in einer Großstadt vorfindet. Als Elsa dann eines Tages unerwartet auf Finn trifft, der sich vor ihren Augen in eine Wolke verwandelt, ändert sich ihr Leben mehr, als sie es sich erhofft hatte.

Elsa Beletti ist eine außergewöhnliche Protagonistin. Ihr Bedürfnis von einer großen lärmenden Stadt, in der die Menschen nichts als sich selbst im Kopf haben, an einen kleinen verschlafenen Ort zu ziehen, ist sehr gut nachvollziehbar. Sie muss ihren Kopf frei bekommen, da ihr Leben plötzlich aus dem Ruder gelaufen ist. Sie will ihr ganzes altes Leben hinter sich lassen, und das geht nur durch eine radikale Veränderung. Von der Metropole aufs Dorf sozusagen. Zu Beginn wirkt Elsa noch bedrückt und niedergeschlagen, taut allerdings im Laufe der Geschichte immer mehr auf. Zwar plagen sie noch immer traurige Erinnerungen an ihren Vater, der für sie beinahe eine Art verschobener Held war, doch nachdem sie das erste Mal auf Finn trifft, scheint ihr Leben für sie endlich wieder voran zu gehen und sich zwar anders als erwartet zu entwickeln, aber Elsa ist offen für die Veränderung, offen für das märchenhafte, dass ihr widerfahren wird.
Finn Munro selbst ist sozusagen das menschgewordene Wetter und der Namensgeber der Geschichte. Er selbst hat zu Beginn sich selbst und seine Fähigkeiten nicht ganz verstanden, wird jedoch im Laufe der Geschichte selbstbewusster und steht zu dem was er ist. Er lebt zurückgezogen in den Bergen, nachdem er seine Mutter Betty unabsichtlich verletzt hat. Dort fristet er ein einsames Leben, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Lediglich Daniel Fossiter kommt ihn gelegentlich besuchen, allerdings sind diese Besuche nur von kurzer Dauer und verlaufen meist schweigsam und in gedrückter Stimmung.
Er ist zurückhaltend und will zu Beginn erst gar nicht mit Elsa sprechen, doch durch deren Hartnäckigkeit taut auch er allmählich auf und öffnet sich ihr. Er wirkt etwas unbeholfen, durch sein langwieriges Asyl in den Bergen. Doch genau das fasziniert Elsa gleichermaßen, wie seine Andersartigkeit.
Daniel Fossiter, Finns einzige Bezugsperson, ist der genaue Gegensatz. Wo Finn, trotz seiner Größe und Statur, fein und zerbrechlich wirkt, wirkt Daniel eher stark und zielsicher. Erst im Verlaufe der Geschichte erfährt man über seine Ängste und über sein gebrochenes Herz und dessen eigentliche Verletzlichkeit. Ganz besonders hat mich hier die Beziehung zwischen Daniel und seiner Hündin Mole berührt, welche er trotz ihrer zunehmenden Altersschwäche versorgt und liebt.
Daniels Aufgabe in Thunderstown ist es, die Ziegen rund um die Stadt, in Zaum zu halten und sie davon abzubringen sich zu vermehren, sodass sie den Bewohnern noch das letzte Haar vom Kopf fressen können. Er ist dafür verantwortlich sie zu töten und aus ihnen Leder und andere Dinge herzustellen, bzw. diese Teile zu verkaufen, damit die Produkte hergestellt werden können. Diese Aufgabe löst im Verlauf der Geschichte immer mehr Zweifel in Daniel aus, die auch sein Leben auf unverhoffte Weise ändern werden.
Die Hauptpersonen sind allesamt keine Fließbandcharaktere, wie man sie leider allzu oft vorfindet, sondern sind allesamt gut durchdacht. Jeder einzelne mit einer Narbe auf seiner Seele, und jeder einzelne für sich etwas ganz Besonderes. Jeder einzelne verkörpert den Zwiespalt in dieser Geschichte. Das Schöne und das grausig Reale. Doch am Ende wird man mit einem Gefühl zurückgelassen, dass das Eine das andere zwangsläufig mit einschließt und keines von Beiden einzeln existieren kann.

Die Geschichte selbst ist sehr realistisch geschrieben, wird aber durch den Regenmann, Finn, zu einer märchenhaften Erzählung. Ali Shaw schaffte es von Anfang an mit seiner bildgewaltigen Sprache in seinen Bann zu ziehen. Jedes noch so kleine Detail wird beschrieben, was keineswegs übertrieben wirkt, sondern den Leser, ob er es nun will oder nicht, direkt das Gefühl vermittelt mitten im Geschehen zu sein. Anfangs fühlte ich mich von seinem so eindringlichen Schreibstil etwas überfordert, so weigerte ich mich beispielweise, nachdem ich gelesen hatte, wie Daniel Fossiter eine Ziege ausnimmt, für einige Tage das Buch weiter zu lesen. Die harte Realität wird ebenso genau und detailreich beschrieben, wie die märchenhaften Elemente der Geschichte. Nichts wird beschönigt, aber das Schöne dafür umso schöner umschrieben. Für mich ist es ein ewiger Zwiespalt, da, wie bereits erwähnt, die harte Realität auf die märchenhaften Elemente trifft. Im einen Moment sitzt man mit einem Lächeln auf dem Gesicht da und fühlt sich beinahe beflügelt, dann wird man wieder von dem Schaurigen, dass in dieser Stadt immer wieder zu finden ist, getroffen und unglaublich hart auf den Boden der Realität zurückgezogen.
Auf jeden Fall ist der Stil in dem Ali Shaw schreibt etwas ganz Besonderes und Außergewöhnliches, was mir zuvor noch nicht in der Art und Weise begegnet ist.
Mein einziger Kritikpunkt ist, dass ich mich während des Lesens immer darauf gewartet habe, wann der eigentliche Spannungsbogen beginnt. Zwar lasen sich die ersten zwei Drittel des Buches unglaublich schön und ich hätte noch Stunden weiter diese wunderbar märchenhaften Bilder in meinem Kopf entstehen lassen können, doch irgendwann musste es ja zwangsläufig zum großen Knall kommen.
Daher wirkte es ein wenig erzwungen, dass Elsa und Finn am Ende zusammen in die kleine Stadt gehen. Es war zu erwarten, dass genau das ein Fehler sein wird und ich frage mich, ob man dieses kleine Detail nicht hätte anders lösen können. Denn so richtig nachvollziehen kann ich nicht, wieso sie diesen Spaziergang unbedingt tun wollten. Natürlich startete hier der Spannungsbogen, der für das Ende der Geschichte notwendig war, und der mich nach nur wenigen Seiten sofort wieder versöhnt hat, und die Erzählung rund um Thunderstown, Elsa, Finn und Daniel, wieder zu einem Ganzen, traurigen, aber dennoch wunderschönen Roman gemacht hat.

Dafür gibt es von mir acht von zehn Cupcakes.


Vielen Dank an vorablesen für das Leseexemplar! =)



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen